Bearbeitung von Daten über Richterinnen und Richter; Bedarf und Schranken

Die Arbeit wurde im Rahmen des Forschungsprojekts „Grundlagen guten Justizmanagements in der Schweiz“ erarbeitet unter der Betreuung von Prof. Dr. Andreas Lienhard. Sie wurde am 22. September 2016 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bern als Dissertation angenommen.

Die Dissertation erörtert, inwiefern Daten über Richterinnen und Richter – zum Beispiel die Anzahl der erledigten Fälle – erhoben und weitergehend genutzt werden dürfen. Sie befasst sich dabei in grundsätzlicher Weise mit aktuellen und praxisrelevanten Fragen der Justizforschung: Dienst- und Disziplinaraufsicht, Fallzuteilungen, Leistungsbeurteilungen oder Richterwahlen. Die Forschungsarbeit enthält nicht nur neue dogmatische Ansätze zur Grundrechtsträgerschaft von Richterinnen und Richtern, zum verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsschutz und zum Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit, sondern ebenfalls die Ergebnisse einer erstmalig in dieser Weise durchgeführten Befragung von Richterinnen und Richtern in der Schweiz.

Weiterführend: Peter Bieri, Bearbeitung von Daten über Richterinnen und Richter, in: «Justice - Justiz - Giustizia» 2017/2.

www.justizforschung.ch

Ausgangslage

Die Herausforderungen an die Gerichte ändern sich. So hat die Arbeitslast der Ge-richte in den letzten Jahren – unter gleichzeitig wachsendem Spardruck – zugenommen. Daneben ist aber auch die Anspruchshaltung der Öffentlichkeit und der anderen Staatsgewalten gegenüber der Justiz und den Richterinnen und Richter gestiegen – ebenso wie der Ruf nach erhöhter Transparenz lauter geworden ist. Reformen haben die Eigenverantwortung der Gerichte im administrativen Bereich gestärkt. Schliesslich sollen neue Arbeitsinstrumente (z.B. Leistungsvereinbarungen mit Globalbudgetierung) an den Gerichten zu Effizienzgewinnen führen. All diese Entwicklungen haben Informationsbedürfnisse geweckt: Statistiken werden gefordert zur Wahrnehmung der (Ober)-aufsicht über die Gerichte, der Wiederwahl der Richterinnen und Richter durch das Parlament oder das Volk, für eine effiziente Fallzuteilung oder als Instrument zur Leistungsbeurteilung und Qualitätsverbesserung der richterlichen Tätigkeit. Das Bundesgericht hat in einer Vorreiterrolle bereits ein eigenes Controlling eingeführt, welches u.a. individuelle Daten der Bundesrichterinnen und Bundesrichter erfasst..

Fragestellung

Das Ziel der Arbeit ist, Vorgaben für den konkreten Umgang mit personenbezogenen Daten von Richterinnen und Richtern im Bereich der Justizverwaltung zu erarbeiten, welche die unterschiedlichen Interessen (Informationsbedürfnisse vs. Geheimhaltungsinteressen) angemessen und in ausgleichender Weise berücksichtigen sowie der Verfassung entsprechen. Auf einen Nenner gebracht, geht es darum, welche Akteure zu welchen Zwecken und in welcher Weise welche Daten erheben und verwenden dürfen.

Methodik

Im ersten Teil der Dissertation soll beschrieben werden, welche Bedürfnisse an per-sonenbezogenen Daten zu Richterinnen und Richtern im Rahmen der Justizverwaltung und -aufsicht bestehen und für welche Zwecke solche personenbezogene Daten bearbeitet werden könn(t)en. Daran anschliessend wird diskutiert, ob und in welcher Weise die verfassungsmässigen Persönlichkeitsrechte der Richterinnen und Richter dadurch tangiert werden. Der Fokus richtet sich auf den Gebrauch von Statistiken.
Im zweiten (empirischen) Teil soll aufgezeigt werden, welche praktische Relevanz richterbezogene Daten an den Gerichten in der Schweiz bisher erlangt haben. Hierzu ist eine Befragung der eidgenössischen und der oberen kantonalen Gerichte zum Einsatz von richterbezogenen Statistiken erfolgt. Zusätzlich werden die eidgenössischen und kantonalen Gerichtsorganisationsgesetze, publizierte Geschäftsberichte und weitere Dokumente ausgewertet. Im Weiteren wird eine Umfrage bei Richterinnen und Richtern durchgeführt werden, um deren Sichtweise und Haltung zu Leistungsunterschieden, Leistungszielen, Bearbeitung von individuellen Daten und Leistungsbeurteilungen zu erfahren.
Im dritten Teil werden die (verfassungs-)rechtlichen Vorgaben an den Umgang mit richterbezogenen Informationen dargelegt. Nebst den datenschutzrechtlichen Be-stimmungen, sind dabei die richterliche Unabhängigkeit, der Anspruch auf ein durch ein Gesetz geschaffenes Gericht, die Grundsätze der Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit staatlichen Handelns, das Öffentlichkeitsprinzip und auch die parlamentarischen Informationsrechte bedeutsam.
Abschliessend sollen im vierten Teil unter Abwägung der verschiedenen Interessen und Berücksichtigung der erörterten rechtlichen Grundlagen konkrete Anforderungen an die Bearbeitung richterbezogener Daten formuliert werden. Dabei sollen auch für Einzelfragen Leitlinien festgehalten werden, wie z.B. für die Verwendung von personenbezogen Statistiken als Entscheidhilfe bei Wiederwahlen oder als Mittel von Leistungsbeurteilungen.

Erwartete Ergebnisse

Der Persönlichkeitsschutz von Richterinnen und Richtern wurde bisher in der Schweiz kaum diskutiert. Die Dissertation soll dazu beitragen, eine individualrechtli-che Sichtweise in die Diskussion zur Justizverwaltung und Justizaufsicht einzubringen.
Die bisherige Forschungstätigkeit hat gezeigt, dass insbesondere die Themen der Leistungsbeurteilung von Richterinnen und Richtern und die Nutzung neuer Informationstechnologien an Gerichten einen starken Bezug zum Dissertationsthema aufweisen. Sie sind von hoher Aktualität und werden teilweise kontrovers diskutiert. Das Augenmerk der Dissertation wird deshalb in besonderer Weise auf diese Problemfelder gelegt werden.

Diese Dissertation wird von Peter Bieri verfasst unter der Betreuung von Prof. Dr. Andreas Lienhard.