Ausgangslage
Ausgangspunkt für diese Dissertation ist die jüngere wissenschaftliche Literatur, die aufzeigt, wie in Ländern rund um den Globus staatliche Aufgaben in zunehmendem Masse nicht mehr von Einheiten einer Zentralverwaltung wahrgenommen, sondern von teilweise autonomen Organisationen – sogenannten Agencies – ausgeübt werden. Eines der Hauptargumente für dieses „agency fever“ ist die Erwartung, dass die Autonomiesierung von staatlichen Aufgabenträgern eine Effektivitäts- und Effizienzsteigerung der Verwaltung ermöglicht. Um aber zukünftig die Chancen und Risiken der staatlichen Aufgabenerfüllung durch Agencies abwägen zu können, muss zuerst die Funktionsweise dieser Organisationen verstanden werden. Dafür notwendig ist als erstes eine Definition der Organisationsform „Agency“. Zweitens müssen die zentralen Begriffe Autonomie und Kontrolle konzeptualisiert und gemessen werden. Erst dann gelingt es, in einem dritten Schritt die dafür relevanten Einflussfaktoren zu ergründen.
Eine solche Untersuchung fehlt bisher in der Schweiz.
Dabei kann die Autonomie der schweizerischen Verwaltungsträger im historischen Kontext durchaus als prägendes Wesensmerkmal erkannt werden. Neben dem Regierungskollegium (der Exekutive) existierten gerade auf kantonaler Ebene lange Zeit (formell tw. bis in die 1960er Jahre) sogenannte „Einzelbeamtungen“. Kantonsbaumeister, Kantonsförster, Feuerwehrinspektoren etc. wurden meist direkt vom Parlament gewählt und bereits damals mit einer Art Globalbudget ausgestattet. Die Rolle der heutigen Departemente war lediglich auf eine Unterstützungsfunktion für die Mitglieder der Regierung ausgerichtet. Die strikte departementale Verwaltungshierarchie ist damit eine relativ junge Form der Strukturierung. Auch auf der Ebene der Bundesverwaltung, welche aus dem Modell der Kantone entwickelt wurde, ist die Autonomie der Amtsträger gegenüber der Regierung noch spürbar. So kann der Bundesrat zwar Ämter verschieben oder neu gruppieren, die Errichtung neuer Bundesämter ist aber in der Kompetenz des Parlaments.
Dieses Dissertationsprojekt muss zwischen einer auf Vergleich und Messung der Autonomie ausgerichteten internationalen Forschung und einem nationalen, auf Einzelfälle ausgerichteten juristischen Behandlung des Themas verortet werden. Diese Arbeit geht aber über eine einfache Anwendung der bisherigen internationalen Agency Studien auf den schweizerischen Kontext hinaus.
Dazu nimmt die Arbeit anhand der bestehenden konzeptionellen Grundlagen zuerst eine Einordnung der Begriffe vor. Darauf aufbauend wird mithilfe der relevanten Organisationstheorien ein eigenes Erklärungs- und Wirkungsmodell – der konzeptionelle Bezugsrahmen – für die tatsächliche Autonomie von Agencies auf der schweizerischen Bundesebene entwickelt (vgl. Abbildung 1).