Autonomie und Kontrolle von Agencies auf der Bundesebene der Schweiz

Diese Dissertation untersucht aus betriebswirtschaftlicher Sicht die Autonomie und Kontrolle von Verwaltungsträgern, die ausserhalb der Kernverwaltung stehen. Es wird analysiert, wie die Autonomie und Kontrolle dieser sogenannten „Agencies“ ausgestaltet ist und durch welche Faktoren diese beeinflusst werden.
Die Arbeit ist Teil des EU Forschungsprojektes COST-Action IS601: Comparative Research into Public Sector Organizations (CRIPO).

Ausgangslage

Ausgangspunkt für diese Dissertation ist die jüngere wissenschaftliche Literatur, die aufzeigt, wie in Ländern rund um den Globus staatliche Aufgaben in zunehmendem Masse nicht mehr von Einheiten einer Zentralverwaltung wahrgenommen, sondern von teilweise autonomen Organisationen – sogenannten Agencies – ausgeübt werden. Eines der Hauptargumente für dieses „agency fever“ ist die Erwartung, dass die Autonomiesierung von staatlichen Aufgabenträgern eine Effektivitäts- und Effizienzsteigerung der Verwaltung ermöglicht. Um aber zukünftig die Chancen und Risiken der staatlichen Aufgabenerfüllung durch Agencies abwägen zu können, muss zuerst die Funktionsweise dieser Organisationen verstanden werden. Dafür notwendig ist als erstes eine Definition der Organisationsform „Agency“. Zweitens müssen die zentralen Begriffe Autonomie und Kontrolle konzeptualisiert und gemessen werden. Erst dann gelingt es, in einem dritten Schritt die dafür relevanten Einflussfaktoren zu ergründen.
Eine solche Untersuchung fehlt bisher in der Schweiz.

Dabei kann die Autonomie der schweizerischen Verwaltungsträger im historischen Kontext durchaus als prägendes Wesensmerkmal erkannt werden. Neben dem Regierungskollegium (der Exekutive) existierten gerade auf kantonaler Ebene lange Zeit (formell tw. bis in die 1960er Jahre) sogenannte „Einzelbeamtungen“. Kantonsbaumeister, Kantonsförster, Feuerwehrinspektoren etc. wurden meist direkt vom Parlament gewählt und bereits damals mit einer Art Globalbudget ausgestattet. Die Rolle der heutigen Departemente war lediglich auf eine Unterstützungsfunktion für die Mitglieder der Regierung ausgerichtet. Die strikte departementale Verwaltungshierarchie ist damit eine relativ junge Form der Strukturierung. Auch auf der Ebene der Bundesverwaltung, welche aus dem Modell der Kantone entwickelt wurde, ist die Autonomie der Amtsträger gegenüber der Regierung noch spürbar. So kann der Bundesrat zwar Ämter verschieben oder neu gruppieren, die Errichtung neuer Bundesämter ist aber in der Kompetenz des Parlaments.

Dieses Dissertationsprojekt muss zwischen einer auf Vergleich und Messung der Autonomie ausgerichteten internationalen Forschung und einem nationalen, auf Einzelfälle ausgerichteten juristischen Behandlung des Themas verortet werden. Diese Arbeit geht aber über eine einfache Anwendung der bisherigen internationalen Agency Studien auf den schweizerischen Kontext hinaus.
Dazu nimmt die Arbeit anhand der bestehenden konzeptionellen Grundlagen zuerst eine Einordnung der Begriffe vor. Darauf aufbauend wird mithilfe der relevanten Organisationstheorien ein eigenes Erklärungs- und Wirkungsmodell – der konzeptionelle Bezugsrahmen – für die tatsächliche Autonomie von Agencies auf der schweizerischen Bundesebene entwickelt (vgl. Abbildung 1).

 

Dieser Bezugsrahmen wird empirisch überprüft, indem zuerst die Daten aus der schriftlichen Umfrage an alle Organisationen auf Bundesebene (Bundesämter, Behördenkommissionen, FLAG-Ämter, öffentlich-rechtliche Anstalten, öffentliche Unternehmen sowie Stiftungen und Vereine mit öffentlichen Aufgaben) ausgewertet werden. Die so gewonnenen Erkenntnisse werden danach anhand von Fallstudien zu den drei grossen Infrastrukturunternehmen des Bundes (Post, SBB und Swisscom) ergänzt. Dazu konnten im Rahmen des Evaluationsmandates der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates zur Steuerung von Post, SBB und Swisscom mit allen involvierten Personen aus den Unternehmen, der Verwaltung und dem Parlament Interviews geführt werden.
Daraus entsteht ein empirisch abgestütztes Erklärungsraster zur Autonomie und Kontrolle von Agencies auf Bundesebene. Anhand dieses präzisierten Bezugsrahmens ist es schliesslich möglich Handlungsfelder zur Ausgestaltung der Autonomie und Kontrolle von Agencies aufzuzeigen und weiterführende Forschungsfragen zu formulieren.

Forschungsfragen

Zur Lösung der erläuterten Problembereiche orientiert sich die Arbeit an den folgenden vier forschungsleitenden Fragen:

  1. Was ist Autonomie?
  2. Wie kann Autonomie gemessen werden?
  3. Durch welche Faktoren wird die Autonomie von Agencies auf Bundesebene beeinflusst?
  4. Wie kann die Autonomie der Agencies erklärt werden?

Methodisches Vorgehen

Die Arbeit wendet ein „mixed method“ Forschungsdesign an. Zuerst wird mittels eines quantitativen Ansatzes auf einer generell-abstrakten Ebene die Autonomie von Agencies gemessen, die theoretisch hergeleiteten Einflussfaktoren überprüft und daraus generelle Tendenzen zur Erklärung von Autonomie abgeleitet. Danach ermöglicht die qualitative Untersuchung zur Steuerung von Post, SBB und Swisscom auf einer individuell-konkreten Ebene die Bestätigung von Wirkungszusammenhängen. Daraus entsteht eine verfeinerte Darstellung der Einflussgrössen und es werden vor allem weiterführende Interpretationen zu den quantitativen Erklärungsansätzen ermöglicht.
Für die Arbeit stehen folgende Daten zur Verfügung:
• Schriftliche Befragung aller Organisationen auf Bundesebene zur Wahrnehmung von Autonomie und Kontrolle
• Transkripte aus den Interviews zur Evaluation der Steuerung von Post, SBB und Swisscom.

Der Forschungsprozess gliedert sich dabei wie folgt (Abbildung 2):

Ergebnisse

Diese Arbeit entwickelt ein empirisch abgestütztes Erklärungsraster zur Autonomie und Kontrolle von Agencies auf der Bundesebene der Schweiz. Der Autor erreicht damit zwei Zielsetzungen.
Einerseits entsteht ein Beitrag an die Wissenschaft, indem die aus den Organisationstheorien abgeleitete Hypothesen zum Zustandekommen von Autonomie von Agencies überprüft wurden. Es zeigt sich, dass die strikt rationalen Public-Choice-Modelle sowie die rein werte- und normenbasierten Ansätzen (Mikroinstitutionalismus, Kulturtheorie) zu wenig Erklärungskraft besitzen. Hingegen findet die neue Institutionenökonomie, die auch strukturelle Elemente, bspw. Hierarchien oder Rechtsformen als Einflussfaktoren auf das Verhalten der Akteure akzeptiert, empirische Bestätigung.
Andererseits werden praxisrelevante Handlungsfelder zur Ausgestaltung der Autonomie von Agencies auf Bundesebene bezeichnet. Diese zeigen an mehreren Stellen Optimierungspotential zur betrieblichen Steuerung von Agencies auf.

Diese Dissertation wurde von Etienne Huber verfasst unter der Betreuung von Prof. Dr. Reto Steiner.

Diese Dissertation wurde im Haupt Verlag publiziert; sie kann bestellt werden